Als ich im Jahr 2002 die Republik Moldau besuchte, fielen mir häufig eigenwillige Bushaltestellenkonstruktionen auf, wahrscheinlich entworfen von den Befähigsten des jeweiligen Dorfes. Mit folkloristischen Mosaiken und ornamentalen Mustern waren sie das Aushängeschild des Ortes. Individuell, freundlich, leicht und einladend. Dieser Thematik nachzugehen, versagte ich mir, da bei meiner Recherche die wunderbare Serie von Bushaltestellen in Armenien von Ursula Schulz-Dornburg auftauchte, die einen ebenso wunderbaren Titel trug: Architektur des Wartens. (jetzt umbenannt in: Transit Orte)
Mein Mann ist Oberstleutnant. Er und seine Kollegen wurden am 22.2.2022 gewarnt, dass etwas kommt. Am 23. Februar sind wir losgefahren, 1200 Kilometer nach Winnyzja. Dort sind wir zwei Tage geblieben, dann weiter nach Mohyliv Podilskyj an die Grenze, dort haben wir Verwandtschaft. Mein Mann ist in Kramatorsk stationiert und oft an der Frontlinie in Slaviansk. Die Fotos, die er schickt, sind schrecklich.
Die Moldau lag für lange Zeit abseits der Aufmerksamkeit von Medienvertretern. Journalisten und Touristen, die hierher finden, sind fasziniert von einer oft verklärten romanisch-slawischen Mischkultur, die das Land auf seinen 34.000 Quadratkilometern zu bieten hat. Mit Abstand den größten Teil stellt die rumänischsprachige Bevölkerung dar, mit einem Anteil von rund 80 Prozent. Sie identifiziert sich ganz überwiegend als „moldauisch“, und nur zu einem kleinen Teil als „rumänisch“.
Ich hatte Pläne, ich hatte meine Vorstellungen und Ideen, wollte mich entwickeln. Aber jetzt lebe ich in der Schwebe. Ich weiß nicht, was ich jetzt machen kann. Die Menschen haben keine Träume mehr. Die Ideen und Träume sind verloren. Wir leben nur im Heute.
Die Republik Moldau grenzt im Norden, Osten und Süden an die Ukraine, und zwar an die drei Oblasti Czernowitz, Wynnicja und Odessa. Den Meerzugang hatte man im Jahr 1940 verloren, als Stalin den Budschak der Ukraine zuschlug. Im Westen, den Pruth entlang, grenzt die Moldau an Rumänien. Annähernd parallel dazu, aber 50 bis 100 Kilometer in östliche Richtung entfernt, fließt der Nistru, Dnister oder Dnjestr dem Schwarzen Meer entgegen. Die drei Namen illustrieren die schwierige politische Gemengelage, vielleicht ist das der Grund, warum in Online-Karten der alte griechische Variante Tyra auftaucht. Er trennt das moldauische Kernland vom schmalen Landstreifen der russlandhörigen Separatistenrepublik Transnistrien.
Mein Mann war in Sicherheit, in England, als Schiffskoch auf See. Ich aber blieb in Odessa. Jede Nacht schlief ich mit aller Kleidung. Ich hatte sogar Angst unter die Dusche zu gehen und die Kinder allein zu lassen. Dann steht man unter der Dusche und die Rakete kommt.
Sofia B. aus dem besetzten Cherson und ihr erwachsener Sohn umrundeten halb Osteuropa, um letztendlich der russischen Einflusssphäre zu entkommen. Da die neuen Machthaber 18- bis 35-jährigen Männern die Ausreise in ukrainisch verwaltetes Gebiet untersagten, blieb als Ausweg für sie nur eine gebuchte Busreise über die Krim (Filtrationslager Armjansk), Russland, das Baltikum und Polen – mehr als 4.700 Kilometer in sieben Tagen. Davon wartete man allein drei Tage lang am Grenzübergang zwischen Russland und Estland auf die Ausreise, mit rund 1.000 anderen und unter freien Himmel. Nach dem Ankommen auf der Krim habe man in Armjansk ein Filtrationslager durchlaufen, vor allem Männer wurden unter die Lupe genommen, doch auch sie kam an die Reihe. Sie habe aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Referendum keinen Hehl gemacht. Die Unerschrockenheit dieser Frau beeindruckt mich. Man ließ sie passieren. Anfang Oktober erreichte Sofia schließlich die Kleinstadt Edineţ im Norden der Moldau. Hier traf sie ihre Mutter wieder, die Cherson mehrere Monate früher verlassen hatte.
„Wir wissen selbst nicht, in welchem Land wir leben. Keiner weiß das.“ 180 Ziegen bewacht Anatoli auf einem alten Industriegelände, das aussieht, als ob eine russische Rakete schon vor langer Zeit eingeschlagen hat. Wir treffen ihn auf dem Weg nach Varniţa, dem letzten Dorf vor der Grenze. Die Situation ist kompliziert. Zuvor gilt es eine Exklave der Pridnestrowischen Moldauischen Republik, kurz Transnistrien, zu durchqueren, den Mikro-Rayon Nord-Bender.
Das staatliche Flüchtlingsheim in der Bezirksstadt Donduseni ist nicht nur für die Bewohner ein Glücksfall in diesen schweren Tagen. Mit so einer Offenheit und positiven Stimmung hatten wir an einem Ort wie diesem nicht gerechnet. Die Geflüchteten (auch hier vor allem Frauen mit Kindern) stellten sich beinahe an, um mit uns in Kontakt zu kommen und fotografiert zu werden.