Darja R., 37 Jahre, aus Moskau

Die Namen wurde aus Sicherheitsgründen geändert.

Walentina J., 31Jahre, mit ihrem Mann Jegor, 34 Jahre und ihren Söhnen Iwan, 7 Jahre und Nikita, 2 Jahre, aus Wolgograd. Foto: © Frank Gaudlitz
Walentina J., 31Jahre, mit ihrem Mann Jegor, 34 Jahre und ihren Söhnen Iwan, 7 Jahre und Nikita, 2 Jahre, aus Wolgograd
Foto: © Frank Gaudlitz

Wir haben die derzeitige Regierung in der Russischen Föderation nie unterstützt, wir haben alles getan, was wir konnten. Wir sind zu den Kundgebungen gegangen, wir haben denen gespendet, die es nötig hatten, wir haben denen geholfen, die Hilfe brauchten, aber wir haben verloren. Ich war eine der wenigen in meinem Moskauer Freundeskreis, die sich sicher war, dass der Krieg kommen würde.

Es klingt ein wenig weit hergeholt, aber es ist wahr. Ich hatte einen sehr beängstigenden Traum und einen seltsamen Traum in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar.

Ich war am Ort meiner Kindheit, in meiner Datscha, da war ein Fluss, eine Hängebrücke, ich war allein, so eine pastorale Stille, und ich sah ein Kind, ein kleines Mädchen, das in der Nähe des Ufers ertrunken war, und sie lag direkt am Ufer, nur einen Zentimeter vom Wasser bedeckt, und ihre rosa Stiefel lagen in der Nähe wie hingeworfen. Und ich fange an zu schreien, nach Hilfe zu rufen, nach jemandem, zu rennen, über diese Brücke, und da ist überhaupt niemand. Also ist ein Kind ertrunken, und ich laufe weg von ihm. Ich kann niemanden finden. Ich denke, ich sollte zurückgehen, was, wenn es Hilfe braucht? Ich gehe zurück. Das Kind hat die Augen aufgemacht und schaut mit so einem starren Blick aus dem Wasser hoch, und dann werden die Stiefel lebendig und laufen mir nach, das heißt, ich will weg von ihnen, sie folgen mir, und ich wache in einem sehr schlechten Zustand auf. Ich denke, das war’s, Gott sei Dank, es ist ein Traum, es ist ein Traum. Und ich habe weiter geträumt, habe Kaffee gekocht und mich auf den Balkon gesetzt, da war ein Hotel und das Meer…

Unmittelbar nach Kriegsbeginn gab es in Moskau eine Faschingsfeier, es war ein schreckliches Gefühl, ich werde es nie vergessen, es war einfach surreal, wie wenn man zu einer Beerdigung geht, die Welt ist untergegangen, das Leben ist zusammengebrochen, Menschen sterben, man fühlt Scham, Schuld, Schmerz, Not, und die Leute feiern in dem Moment Fasching. Ein Gefühl, überall eine Fremde zu sein, ein Gefühl, nirgendwo sicher zu sein, dass die Welt in dir und um dich herum gestorben ist…

Normalerweise nehmen wir von der Metro einen Minibus und als sie die Buchstaben Z an den Minibussen anbrachten, konnte ich nicht einsteigen. Ich ging zu Fuß nach Hause und sagte: „Weißt du Danilo, ich werde hier nicht leben können.“ Und Danilo: „Ich kann nicht weg.“

Ich glaube, wir haben monatelang geweint. Ist das der Preis der Liebe, den man zahlen muss? Er kann nicht gehen, weil er Angst hat, ich kann nicht bleiben, weil ich nicht schweigen kann… Und das Gefängnis würde ich nicht überleben. Weinen. Am Ende lag ich auf dem Boden.

Danilo hat die Tickets gegoogelt und gebucht. Das war’s, Gott sei mit ihm…

Wir wollten ein drittes Kind adoptieren, standen sogar in der Schlange…

Mir ist klar, dass es eine verrückte Idee war, mit 3 Kindern zu fahren. Ich habe mich von diesem Gedanken verabschiedet, aber wissen Sie, ich habe geträumt, dass ich ein Baby im Arm halte, dass es Bomben und Granatsplitter gab und dass ich mit diesem dritten Kind, das nicht mehr da war, durch die Gegend renne… 

Ich bin ganz tief gefallen war, hatte mich verloren. Vor einem Monat habe ich wieder mit den Sitzungen begonnen. Ich brauchte psychologische Unterstützung…

Mir wurde klar, dass ich ein Jahr lang versucht hatte, die Welt zu retten. Ich glaube, ich habe eine Menge erreicht. Danilo hat sich natürlich finanziell sehr engagiert. Er ist ein großartiger Mensch, er ist ein Schattenheld, aber sein Beitrag ist tatsächlich enorm. Wir helfen weiterhin den Ukrainern, die wir kennen ohne lautstarke Öffentlichkeitsarbeit.

Aber wir müssen auch uns selbst retten. Da ist immer noch dieses kleine Mädchen, das sehr einsam und unglücklich ist und um das wir uns jetzt kümmern müssen.

Ein Gedanke zu „Darja R., 37 Jahre, aus Moskau“

  1. Es ist der Preis der stillen Helden, das sie helfen und still sind. Den Unterschied im Leben kann mensch einfach dadurch machen, mit den Neuhinzukommenden das Alltagsleben zu teilen und sie in den Freundeskreis aufzunehmen, mit Ihnen die‘ Zweite Heimat‘ zu bauen.Ich bin dankbar, daß es in Berlin genug Möglichkeit dafür gibt.

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