Irina N.

Die Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.

Oleksandra O., 39 Jahre, aus Kherson. Foto: © Frank Gaudlitz
Oleksandra O., 39 Jahre, aus Kherson
Foto: © Frank Gaudlitz

Irina N.

Ich habe gerade meinen 55. Geburtstag hier in Batumi gefeiert. Das sind die Geschenke, die mir von den Menschen gegeben wurden, die auf dem Platz (Maidan) stehen. Wir alle stehen jeden Tag auf dem Platz, bei Regen und Schnee bis zum Peremoga (ukrainisch: Sieg).

Ich habe vor dem Krieg in der Region Cherson gelebt, an der Antonovskiy-Brücke. Der Krieg hat mich in Cherson erwischt, ich war im Krankenhaus. Es war nicht mehr möglich, nach Hause zu gehen. Man sagte mir, das Dorf sei bereits erobert, Panzer stünden schon in den Gemüsegärten. Es gab keinen Ort mehr, an den ich gehen konnte.

Wenn es diesen Krieg nicht gegeben hätte, wäre ich nirgendwo hingegangen. Ich spreche jeden Tag mit meiner Schwester, sie wohnt noch dort und wenn ich morgens nicht mit ihr sprechen kann, dann bekomme ich schon Panik. Ich denke, dass etwas passiert ist, etwas Beängstigendes, etwas sehr Beängstigendes.

Aus der Garderobe meiner früheren Schule, in der es keine Fenster gab, haben sie einen Folterraum gemacht…

Kinderzeichnungen mit gelben und blauen Symbolen und alle ukrainischen Bücher wurden verbrannt. Du darfst nicht einmal ein Wort über ukrainische Bücher sagen, sonst nehmen sie dich mit, ziehen dir einen Sack über den Kopf und bringen dich weg.

Ein Mädchen ging Brot holen. Sie konnte es nicht mehr aushalten und sagte zu einem Soldaten: „Du solltest dir lieber weiße Hausschuhe kaufen“. Sie legten ihr Handschellen an und brachten sie weg. Es ist sehr schwer, dort zu leben.

Hier läuft es gut. Kürzlich fragte mich ein Georgier: „Wer ist Ihrer Meinung nach schuld an diesem Krieg? Ist es die Schuld der Russen oder die Schuld der Amerikaner?“ Und ich sagte: „Ich habe keinen amerikanischen Schützen gesehen. Unser Dorf ist klein, aber wir haben einen sehr großen Markt, die ganze Ukraine kennt ihn, er versorgte früher Weißrussland und Russland, alle in der Umgebung. Weliki Kopani heißt er. Der Krieg war schon im Gange, kurz gesagt, die Menschen gingen auf den Markt, um etwas zu kaufen. Jemand kauft Äpfel, jemand kauft Kartoffeln… Da kommt ein Soldat mit einem Maschinengewehr und schreit: ‚Auf den Boden! Auf den Boden! Gesicht nach unten auf den Boden!‘ Die Leute konnten nicht verstehen, was los war, und er begann zu schießen. Und die Leute, Frauen und Männer, knieten nieder. Und ich sagte zu diesem Georgier: ‚Da war kein Amerikaner, wir haben nichts gesehen‘.“

Meine Rettung sind die Netze. Viele Georgier brachten weiße Tücher, Bettbezüge, wir haben gerissen und gestrickt. Es waren auch Weißrussen da. Sie haben Lieder gesungen und geplaudert, und das ist die Rettung.

Wir flechten Tarnnetze für das ukrainische Militär. Ich habe jeden Tag so viel gearbeitet, dass der Kardiologe sagte: „Sie sollten sich ein bisschen schonen.“ Ich nehme Medikamente, weil ich Probleme mit meinem Herzen habe. Ich habe Herzanfälle: 162 Schläge pro Minute…

Wir hatten hier auf dem Platz eine Kundgebung zum Jahrestag der Bombardierung des Dramatischen Theaters in Mariupol. Und als die Kerzen brannten, habe ich die ganze Zeit geweint, die ganze Zeit. Sind das Menschen? Das sind keine Menschen! Das kann man nicht machen! Aber ich glaube an unseren Sieg! Und ich glaube sogar, dass es bald sein wird, es wird bald sein …

Batumi, 21. März 2023

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