In Tiflis hat die neue Migrationswelle aus Russland zu einer Reihe neuer Lokale geführt – Bars, Restaurants, Buchclubs, Kulturräume und Galerien. Viele dieser Lokale sind praktisch nur für „Umgesiedelte“ mit russischsprachigem Hintergrund geöffnet, was von der lokalen Bevölkerung, insbesondere in Tiflis, oft kritisiert wird.
Hunderttausende Emigranten, die aus Russland nach Georgien kommen, haben den lokalen Kontext beeinflusst. Der Anstieg der Wohnungsmieten um mindestens das Doppelte ist eine für viele Menschen negative Begleiterscheinung. Andererseits hat diese Situation auch zum Entstehen neuer kultureller und gastronomischer Einrichtungen geführt. An einem Abend können in Tiflis gleichzeitig drei Konzerte von Rockbands aus Russland, ein Vortrag eines Wissenschaftsvermittlers aus Moskau, die Vorführung eines neuen russischen Antikriegsfilms oder eine Lesung eines Theaterstücks, ebenfalls mit Antikriegsthematik, stattfinden. Angesichts der komplizierten historischen und aktuellen Beziehungen zu Russland werden all diese Veränderungen in der Gesellschaft unterschiedlich wahrgenommen. Die Straßen von Tiflis sind voller Graffiti, die Putin und die Russen im Allgemeinen verfluchen oder letztere auffordern, nach Hause zu gehen. Zwar sagen alle Russ:innen, dass sie abgesehen von diesen Graffiti keine direkte negative Reaktion bemerken und dankbar sind für die Gastfreundschaft der Einheimischen, auch wenn Russland noch immer ein Fünftel des Landes besetzt hält. Viele fangen zum ersten Mal an, die Geschichte ihres eigenen Landes zu überdenken bzw. etwas über den Kolonialismus Russlands zu erfahren.
In den letzten Monaten wurde jedoch vielen prominenten russischen Oppositionellen, kritischen Journalist:innen oder Menschenrechtsanwält:innen die Einreise nach Georgien verweigert – selbst dann, wenn sie schon länger dort lebten, ein Haus gemietet oder gekauft haben und mit ihren Familien dort leben.
Maxim, ein Menschenrechtsanwalt aus St. Petersburg, wurde so die Einreise verweigert. Er lebt jetzt in Eriwan. Ein Teil seines Besitzes befinde sich noch in Tiflis, ein anderer in St. Petersburg, der materielle Teil seines Lebens sei in der „ganzen Welt verstreut“, in Lagerräumen eingeschlossen, bei Freunden gelassen und für ihn unerreichbar.